Das waren bisher die schlimmsten Jahre meines Lebens, aber nun ist es vorbei. Ich trauere und ich akzeptiere, daß die Trauer nun zu meinem Leben gehört, und das ist ein gewisser Trost, denn so sind sie immer bei mir. Schwerer ist es, meine persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit zu verarbeiten. Ich hatte mich selbst völlig verloren. Ich konnte keine Schönheit mehr finden und nicht mehr kreativ sein. Ich war nur todmüde. Aber mit der Zeit wurde es hier immer gemütlicher und wohltuender. Ein lebendiges Haus, denn Rudi wohnt immer noch hier und es ist einfach nur prima. Im Winter hatte ich ganz oft den Kamin an, und inzwischen habe ich geschnallt, daß ich nun einen eigenen Garten habe. Eigentlich ist es nur eine Terrasse mit einem Grünstreifen drumrum, in dem aber Pflanzen jahrzehntelang wachsen durften, so daß eine kleine Oase entstanden ist. Ich habe bisher in Gärten immer nur Unkraut entfernt, aber nun bin ich dabei, selber zu pflanzen, zu gestalten und zu hegen und entdecke meine Freude daran. Und kann wieder Schönheit erkennen. Natürlich habe ich auch einen Gartenofen.
Das war alles sehr heilsam. Irgendwann merkte ich, daß ich mich eigentlich gar nicht mehr einsam fühle, und war erstaunt, als ich feststellte, daß ich mich nicht mehr klein und geduckt und verletzlich fühlte, gehetzt. Die Angst verschwand nach und nach und ich bin zum ersten Mal in meinem Leben fähig, ganz ehrlich meine Meinung zu sagen, mich selbst gut zu vertreten und zu spüren (und zu akzeptieren) daß ich auch mal wütend bin. Das liegt natürlich auch an den Medikamenten, daß ich inzwischen richtig stabil geworden bin, aber auch an den neuen Lebensumständen. Ab März letzten Jahres war ich in einer Maßnahme vom Jobcenter, die angenehm niederschwellig begann, und vor kurzem damit endete, daß ich bei der Firma, bei der ich 2 Monate Praktikum gemacht hatte, fest angestellt wurde. Eine kleine Kunst- und Feingiesserei mit 12 netten Kolleg:innen und der Chef ist auch ok. Meine Aufgabe besteht darin, Wachs in Silikonformen zu spritzen, und die Wachse dann peinlich genau zu versäubern. Unter einer Riesen Lupe. Und das möglichst schnell. Ich war immer jemand, der sehr sorgfältig und genau arbeitete, aber ich war immer zu langsam. Es war eine Herausforderung, aber ich kriege es langsam hin. Hört sich vielleicht langweilig an, und es ist eine absolute Fieselarbeit, aber mir gefällt es. Ich arbeite nur mit den Augen und den Händen und kann dabei wunderbar abschalten. Nach 6 Stunden gehe ich heim, und habe den Kopf frei für meine Sachen. Nur für meine Augen ist es wirklich anstrengend.
Mit 59 Jahren und nach 7 Jahren ohne Berufsleben draussen unter Menschen, in Pandemiezeiten, und mit meiner Erkrankung und meiner Vorgeschichte noch einen guten und machbaren Job zu finden, grenzt an ein Wunder. Tatsächlich haben mir aber sowohl das Jobcenter, als auch die von der Maßnahme total geholfen. Eine Menge Leute, die sich richtig für mich eingesetzt haben. Auch in dem Betrieb. Aber ich bin auch stolz auf mich, weil ich alles gegeben habe, aber trotzdem gut auf mich achten konnte, nichts persönlich genommen habe und gute Arbeitszeiten und Pausen ausgehandelt habe.
Das Einzige, was mir ein bißchen Sorgen macht, ist meine Gesundheit. Ich habe sehr ungesund gelebt, und ein paar Monate ziemlich viel Alkohol getrunken. Ich habe sehr zugenommen und mich sehr wenig bewegt. Ich wusste, daß ich meinen Kurs ändern muss, aber ich habe es einfach nicht geschafft. Ich glaube, unbewusst wollte ich sogar krank werden. Doch dann bekam ich üble Anfälle von Atemnot und nach einigen Untersuchungen kam raus, daß ich eine Fettleber habe. Und siehe da – da ist auf einmal wieder Lebenswille. Ich habe sofort meine Ernährung verändert und trinke vorerst keinen Alkohol mehr. Ich bin sehr dankbar, ich habe in meinem Leben phasenweise echt viel gesoffen, aber ich bin nie abhängig geworden und konnte jederzeit ohne Entzugserscheinungen aufhören, so wie zur Zeit auch. Nun scheine ich mich doch tatsächlich retten zu wollen.
Ich hoffe, Euch geht es gut!